ÜBER DIE WERKREIHE DER GRÜNEN HOFFNUNGSTRÄGER
„Ich möchte das Grün zum Helden machen“
Die neue Werkreihe „Hoffnungsträger“ von Katja Gramann
© Dr. Ingrid Gardill, im November 2023
Vorgeschichte
„Hoffnungsträger“ nennt Katja Gramann ihre aktuelle, umfangreiche Serie von großformatigen, abstrakten Materialbildern in Mischtechnik, an der sie seit Juli/August 2023 kontinuierlich arbeitet. Ausgangspunkt war eine intensive Auseinandersetzung mit der Farbe Grün. Die Initialzündung dafür gab ihr Galerist in Belgien mit dem Foto einer quasi von der Natur gemalten, verwitterten Kaimauer, die ihn an typische Arbeiten der Künstlerin erinnerte. Bei Katja Gramann setzte der Impuls eine gründliche, sowohl künstlerische als auch theoretische Forschungsarbeit in Gang.
Sie stellte sich die Frage, warum es in der Kunstgeschichte so wenige Vorbilder für die Farbe Grün gibt. Fündig wurde sie bei Cy Twombly und Emil Schumacher, die die Farbe aber häufig nicht als Solitär einsetzten. Ebenso wenig Claude Monet, dessen Seerosenbilder zwar viel Grün enthalten, doch Katja Gramann hat erkannt, dass wir die Farbe dort nicht wirklich wahrnehmen, sondern vorwiegend das ebenfalls in den Bildern enthaltene Blau. – Warum ist das so?
„Verstoßene“ Farbe
Betrachtet man den historischen Kontext, stellt man bald fest, dass die Bewertung der Farbe über mehrere Jahrhunderte offenbar unsere Sehgewohnheiten geprägt hat. In Leon Battista Albertis Traktat „Della pittura“ von 1435 gehörte Grün noch zu den vier „wahren Farben“, während sich in den Schriften des 17. Jahrhunderts die Trias der Grundfarben Rot/Gelb/Blau bereits weitgehend durchgesetzt hatte. Die vierte Hauptfarbe Grün wurde allmählich zur Sekundär- oder Nebenfarbe degradiert. Der schweizerische Kunsthistoriker Felix Thürlemann untersuchte dieses Phänomen der zunehmenden Ächtung, das schließlich im „Farbpurismus“ der Moderne gipfelte. Der Autor sieht die Ursache der Bewertung bereits in der Malerei des europäischen Mittelalters. Demnach wurde, etwas vereinfachend gesagt, das Grün symbolisch dem Bereich des Irdischen zugeordnet, während die Primärfarben vorwiegend den himmlischen Sphären vorbehalten waren. Dies schlägt sich übrigens bis heute in der Verwendung der liturgischen Farben für den Gottesdienst nieder: Grün kennzeichnet alle festlosen Tage des Kirchenjahres.
Die 3-Farben-Theorie wurde auch später nicht mehr in Frage gestellt und hatte sich in der klassischen Moderne, besonders in den Lehren des Bauhauses und der Theorie der Abstraktion zum Dogma entwickelt. Treffend spitzte Thürlemann diese Tendenz der Jahre seit etwa 1910 in seiner Abhandlung zu: „Grün ist die Farbe des niederen, natürlich-realen Bereichs; zur erhabenen Welt des ‘reinen Abstrakten‘ steht sie im Widerspruch“ (S. 23)! Entsprechend abwertend äußerte Wassily Kandinsky 1912, Grün habe eine passive, bewegungslose, gleichgültige und langweilende Wirkung (S. 94 f.).
Experiment
Aus dieser tradierten und stark bewertenden Farbgenese wollte sich Katja Gramann mit ihrer abstrakten Kunst bewusst lösen. So begann sie selbst zu experimentieren und kaufte eine umfangreiche Palette grüner Pigmenttöne um eigene Farbmischungen zu erproben. Der Händler warnte sie, grüne Bilder würden sich nicht verkaufen, was sich jedoch nicht bewahrheitete. Seine Bemerkung bestärkte Katja Gramann noch mehr darin, sich ganz dieser Farbe zu widmen und für eine Zeit darin einzutauchen um sie künstlerisch auszuloten.
Es begann eine herausfordernde, spannende Entdeckungsreise, die die Malerin über mehrere Monate in Atem hielt. Die ersten Versuche waren wenig zufriedenstellend, da die Farbe stumpf und plakativ wirkte. Bald stellte sie fest, dass das Grün eine zweite Farbe erforderte um zur Wirkung zu gelangen. Doch interessanterweise trat es dann sofort in den Hintergrund, ähnlich wie bei Monets Seerosenbildern. Das konnte die Künstlerin nicht hinnehmen, da Grün die Hauptfarbe bleiben sollte. Sie wollte es unbedingt „zum Helden machen“.
Hauptfarbe
Die Beobachtung, dass das Grün in der Natur äußerst vielfältig ist und ständig im jeweiligen Lichteinfall changiert, führte Katja Gramann schließlich zur Lösung des Problems.
Ihre reiche Erfahrung mit Materialbildern konnte sie dazu nutzen um mit Gesteinsmehl, Asche, Rost und anderen Substanzen eine gewisse Struktur zu hervorzubringen, auf der sie die Grün-Pigmente in mehreren Arbeitsvorgängen und Schichten auftrug. Das Durchscheinen von darunterliegenden Farbebenen erzeugte gemeinsam mit den vielfältigen Strukturen das Changieren und die Belebung, die sie erzielen wollte. Sie fand heraus, dass der warme Orangeton des Rostes in winzigen, durchschimmernden Punkten und Fleckchen genau das richtige Maß darstellt, um die sensibel reagierende Farbe Grün zum Leben zu erwecken.
Akzentuierung
Zusätzlich arbeitete sie helle Bereiche heraus, indem sie einen zurückgenommenen Asche-Ton statt dem harten Weiß verwendete, oder sie ließ, je nach den Erfordernissen, den Hintergrund stellenweise dunkler erscheinen. Zuletzt belebte die Künstlerin den Vordergrund der Bilder mit Läufern von nass aufgetragenen, hellen oder dunklen Grün-Pigmentmischungen. In einigen Kompositionen setzte sie spontan den Kohlestift an, um damit luftige Formen mit lockeren, gestischen Linien zu ziehen, die kontrastreich eine weitere Ebene bilden. Einige von ihnen erinnern an den Umriss von lanzettförmigen Blättern und schließen dadurch den Naturaspekt mit ein.
Botschaft
Das lange und hartnäckige Ringen darum, die „verstoßene“ Farbe Grün künstlerisch zu erfassen und adäquat umzusetzen sowie der dringende Wunsch, ihr wieder einen Stellenwert in der Kunst zu verschaffen, führte dazu, dass sich Katja Gramann mit der Farbe quasi verbündete und sie zu schätzen gelernt hat. Sie empfindet das Grün darüber hinaus als elementar für unsere heutige, unruhige, aus den Fugen geratene Zeit, da die Farbe nachweislich beruhigend auf die Augen, das Gemüt und die Seele wirkt. Die Malerin hat das Grün als Farbe der Hoffnung und des sich erneuernden Lebens temporär als künstlerische Antwort auf die vielfältigen ökologischen und gesellschaftlichen Krisen gewählt und daher ihre neue Werkserie als „Hoffnungsträger“ bezeichnet.
Literaturnachweis
Felix Thürlemann, Grün – die verstoßene Farbe. Zur Genealogie des modernen Farbpurismus. In: Rot, Gelb, Blau. Die Primärfarben in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Hrsg. von Bernhard Bürgi, Stuttgart 1988, S. 11-27.
Eva Frodl-Kraft, Die Farbsprache der gotischen Malerei. In: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 30/31 (1977-1978) S. 89-178.
Renate Kroos, Farbe liturgisch in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte Bd. VII (1974) S. 54-121.
Leon Battista Alberti, Della Pittura – Über die Malkunst, Hrsg. von Sandra Gianfreda und Oskar Bätschmann, Darmstadt 2002.
Wassily Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, Erstausgabe München 1912, Verweis aus: Bern 1973 (10. Aufl.)